Peter Grimes

PETER GRIMES

Zürcher Opernaufführungen auf DVD

Thomas Baltensweiler

Gibt es eine Zürcher Opernästhetik? Seit das Opernhaus einen Grossteil seiner Produktionen auf DVD aufzeichnet, lässt sich dies in direkten Vergleichen überprüfen. Eben erst sind drei neue Mitschnitte erschienen: Schuberts „Fierrabras“, Mozarts „Don Giovanni“ und Brittens „Peter Grimes“. In der Tat weisen die Inszenierungen einige Gemeinsamkeiten auf. Zunächst sind da einmal die aufwendigen Szenerien und Kostüme. Letztere sind in „Peter Grimes“ und „Don Giovanni“ im Stil der dreissiger Jahre gehalten – das Opernhaus lässt diese Zeit gerne wiederaufleben.

Schuberts „Fierrabras“

Angesichts der Bühnenbilder könnte man geneigt sein, von Ausstattungstheater zu sprechen – verbände sich mit diesem Begriff nicht die Vorstellung eines altmodischen Hypernaturalismus. Die drei Zürcher Aufführungen wirken dagegen ausgesprochen „gestylt“ und suggerieren optisch eine Bedeutungstiefe, die dann von der Regie nicht immer erreicht wird. Interpretation gewiss, aber nur so viel, dass die Inszenierungen leicht durchschaubar bleiben: Das scheint das geheime Motto hinter diesen Produktionen zu sein. Im Einzelnen gilt es freilich zu differenzieren.

Die interessanteste Veröffentlichung dürfte „Fierrabras“ sein. In dieser Oper geht es um eine Reihe junger Menschen, deren Liebe an Vätern, König Karl und dem Maurenfürsten Boland, zu scheitern droht. Der Regisseur Claus Guth lässt die Handlung nicht im Spanien der frühmittelalterlichen Maurenkämpfe spielen (das Libretto greift unter anderem auf das „Rolandslied“ zurück), sondern in einem biedermeierlichen Zimmer mit überdimensioniertem Mobiliar und Hammerklavier (Bühnenbild Christian Schmidt). Flugs führt er Schubert selber (Wolfgang Beuschel) als zusätzliche Figur ein. Dieser spiegelt sich in den männlichen Protagonisten und arbeitet seine problematischen psychischen Befindlichkeiten an den Vatergestalten ab. Aus Guths Lesart resultiert eine stimmige Atmosphäre, die rechtfertigt, dass „Fierrabras“ zu Bühnen- und DVD-Ehren gelangt ist – und in der sich das musikalische Geschehen optimal entfalten kann. Unter dem Dirigenten Franz Welser-Möst gewinnt die Wiedergabe warmen Klang und klare Struktur. Dass die Sänger ein Ensemble von grosser Geschlossenheit bilden, erscheint als Voraussetzung und Reflex des Gelingens dieser Produktion zugleich.

In Sven-Eric Bechtolfs „Don Giovanni»-Inszenierung ist die Besetzung weniger homogen, und doch sind es – abgesehen von Rolf Glittenbergs elegantem Bühnenbild – vor allem Sänger, um derentwillen sich die Aufführung lohnt. Bechtolf ist kein Regisseur, der auf Konzepte setzt; selber auch als Schauspieler tätig, vermag er indes seine Darsteller suggestiv zu führen. Seine Produktionen „funktionieren“ – so auch dieser „Don Giovanni“, in dem Simon Keenlyside die Titelrolle mit einer Fülle von stimmlichen und gestischen Nuancen ausstattet und Martina Janková die Zerlina mit durchtriebenem Charme gibt.

Animiert agieren auch die weiteren Interpreten, doch bleiben manche vokalen Wünsche offen. Das Musizieren von Franz Welser-Möst wirkt bei diesem Stück weniger profiliert als bei „Fierrabras“ oder „Peter Grimes“, einer Partitur, die er mit hoher Transparenz und mit ausgeprägtem Sinn für Zwischentöne realisiert.

Brittens „Peter Grimes“

David Pountneys Inszenierung von „Peter Grimes“ kommt auf dem Bildschirm überzeugender daher als auf der Bühne, weil man weniger deutlich gewahrt, wie überladen der von Robert Israel mit einer gerüstartigen Konstruktion ausstaffierte Raum ist. Zudem hat die Kameraführung (Felix Breisach) die Gesten, in denen sich das Innere der Figuren mitteilt, geschickt hervorgehoben – etwa den schüchtern-innigen Händedruck zwischen dem Fischer Grimes und der Lehrerin Ellen Orford, die ihn, den Aussenseiter, gegenüber der Dorfgemeinschaft verteidigt.

Die Tableaus vivants, die Pountney arrangiert, erscheinen dank raschen Schnitten und Zoom-Einstellungen spannungsvoller und zugleich surrealer als im Theater. Dass die Aufführung von einer gewissen Sterilität geprägt ist, darüber vermag indes auch die TV-Regie nicht hinwegzutäuschen. Die See, die Naturgewalten überhaupt – wichtige Mitspieler in diesem Drama –, sind von der Bühne verbannt. Und dass Grimes, bevor er sich mit seinem Boot im Meer versenkt, einen Schiffsmast wie ein Kreuz trägt, bleibt eine (nicht die einzige) geschmackliche Entgleisung. In Christopher Ventris (Grimes) und Emily Magee (Ellen) erlebt man dafür Interpreten, die ihre Partien mit intensivem vokalem Ausdruck erfüllen.

Franz Schubert: Fierrabras. Jonas Kaufmann, Juliane Banse, Michael Volle, Christoph Strehl u. a.; Leitung: Franz Welser-Möst, Regie: Claus Guth. EMI 50999 5 00969 9 2 (2 DVD). Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni. Simon Keenlyside, Anton Scharinger, Martina Janková, Malin Hartelius u. a., Leitung: Franz Welser-Möst, Regie: Sven-Eric Bechtolf. EMI 50999 5 00970 9 8 (2 DVD). Benjamin Britten: Peter Grimes. Christopher Ventris, Emily Magee, Alfred Muff u. a., Leitung: Franz Welser-Möst, Regie: David Pountney. EMI 50999 5 00971 9 7 (2 DVD).

Profilierte Bildsprache
09.11.2007 | Neue Zürcher Zeitung