DER ANSTÄNDIGE

Im Februar 2014 wurden private Briefe von Heinrich Himmler, dem „Architekten der Endlösung“, veröffentlicht, die sich jahrzehntelang in jüdischem Privatbesitz befunden hatten. Plötzlich hatte man ein Konvolut privater Dokumente zur Verfügung, das es in vergleichbarem Umfang von keinem anderen Angehörigen der NS-Führung gibt.

Man muss im Leben immer anständig und tapfer sein und gütig

schreibt Himmler ins Poesiealbum seiner Tochter.

Wie kann ein Mensch nach seinen eigenen Grundsätzen ein Held und nach den Grundsätzen der Welt ein Massenmörder sein? Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa hat – auf der Grundlage des Himmler-Nachlasses und weiteren Archivmaterials (151 Quellen aus 53 Archiven in 13 verschiedenen Ländern) – einen Dokumentarfilm über einen Menschen gemacht, der beruflich und privat mit sich im Reinen war.

Das Unternehmen zur Doku begann damit, dass ein Mann in Tel Aviv die umfangreiche Himmler-Korrespondenz jahrzehntelang verborgen hatte, bis er 2007 den Wunsch hatte, sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Er wandte sich an den Vater von Vanessa Lapa, die die Herausforderung sofort annahm. Auch das Wie war ihr sofort klar: Sie wollte auf Interviews, Dreharbeiten an Originalschauplätzen und Spielszenen verzichten.

Denn die Fakten

so Vanessa Lapa nach der Vorführung

sprachen für sich.

Dem österreichischen Produzenten Felix Breisach gelang es, 1,3 Millionen Euro aufzustellen und den ORF als Partner zu gewinnen:

Anfangs nicht ganz einfach, aber Generaldirektor Alexander Wrabetz begriff sehr schnell, was ihm da in den Schoß gefallen war. Natürlich hatten sie vorher alles genauestens überprüfen lassen.

Die 276 Himmler-Briefe aus den Jahren 1927 bis 1945 waren nur die Grundlage. Es wurden weiters 181 Filmarchive in 17 Ländern durchsucht, man sichtete mehr als 2000 Stunden Film, von denen rund 100 Stunden in digitale HD-Formate übertragen wurden. Diese Recherchen dauerten 28 Monate.

Stimme des Heinrich Himmler ist Tobias Moretti, Sophie Rois spricht dessen Ehefrau Marga, Morettis Kinder Antonia und Lenz leihen dem jungen Himmler und Tochter Gudrun ihre Stimmen.

Breisach:

Wir haben gelernt, was liebende Väter und zugleich Massenmörder anrichten können. Einmal etwa schreibt Himmler an sein ‚Püppilein’: ‚Bin gerade an der Ostfront, um neue Schießmethoden auszuprobieren.’ Bei diesen ‚Tests’ stellte sich heraus, dass es mit Erschießen allein nicht getan war. Für die ‚Endlösung’ musste man sich also etwas Anderes ausdenken.

Felix Breisach verweist auf den Filmtitel “Der Anständige”:

Heinrich Himmler hat ja genau das gemacht, was er seiner Meinung nach als aufrechter Deutscher tun musste. Anständig zu essen, anständig zu den Soldaten zu sein und wohl auch anständig zu morden. ‚Auch wenn es schwer fällt’, schrieb er in seinen Briefen, ‚wir müssen anständig bleiben!’

Lapas und Breisachs Erkenntnis nach dem Film:

Die Dimensionen der Grausamkeit sind wiederholbare.