Semele

© Felix Breisach Medienwerkstatt

SEMELE

aus dem Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich zeigt die Barockopern „Il trionfo del tempo e del disinganno” und „Semele” in mustergültigen Aufführungen Derker Weber.

 

Erotisch gurrende Königstochter Semele

„Zwei Mal Händel, aber bitte vom Feinsten!” Das kann man jetzt noch im Haus am Zürisee bestellen – und man bekommt es serviert. Das Zürcher Opernhaus hatte schon immer eine Affinität zur Barockmusik. Und der in anderen Fragen angreifbare Direktor Alexander Pereira setzt diese Tradition in schönster Weise fort.

Derzeit kann man in Zürich innerhalb von zwei Tagen ein frühes Händel-Meisterwerk – das 1707 fürs katholische Rom geschriebene Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno” in der szenischen Umsetzung durch Jürgen Flimm – und die späte Oper nach der Art eines Oratoriums „Semele” aus dem Jahr 1744 sehen. Beide mustergültig besetzt und hervorragend musikalisch geleitet von Marc Minkowski bzw. William Christie.

„Il trionfo” ist eine genuin Zürcher Produktion aus dem Jahr 2003, und wurde zeitgleich mit der Zürcher Premiere von „Semele” wieder aufgenommen. Diese Produktion war ursprünglich für das Festival von Aix-en-Provence 1996 entstanden. Aber die Inszenierung – damals wie heute von Robert Carsen betreut und inzwischen an vielen europäischen Theatern zu sehen gewesen – ist so frisch wie am ersten Tag; das Gleiche gilt auch für den Dirigenten William Christie.

Wie wundervoll heutig doch barocke Opern sein können! „Il trionfo”: Als der junge Händel zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach Rom kam, war die Oper durch päpstliches Dekret verboten. Also schrieb man opernhafte Oratorien als Ersatz fürs Verbotene. Und der 22-jährige Händel komponierte – mit großem Gespür fürs Dramatische – sein erstes Oratorium überhaupt: Da denkt eine allegorische Person, die „Schönheit”, schon in der ersten Szene über ihre Vergänglichkeit nach. So etwas kommt, scheint sich Regisseur Jürgen Flimm gedacht zu haben, in jeder mitternächtlichen Bar vor, wenn die übrig Gebliebenen von den Bällen und Partys eintrudeln. Die Handlung spielt daher in einer unendlich lang gebogenen Mischung aus Hoppers Bar und dem Pariser „La Coupole”. Was nicht im Oratorientext steht, wird kurzerhand hinzuerfunden: Auftritte der Heilsarmee, kleine Blumenverkäuferinnen, Betrunkene, Bekiffte. Das geht wunderbar abwechslungsreich und ohne die geringsten sängerischen Abstriche auf, mit Malin Hartelius (Bellezza), Anna Bonitatibus (Piacere), Marjana Mijanovic (Disinganno) und Krešimir Špicer (Tempo).

Blond ist die „Schönheit”, blond auch Semeles Schwester Ino. Ein englischer Text und eine Handlung aus der antiken Mythologie: Das ergibt eine wunderbare Mischung, die schon die Zeitgenossen herausgefordert hat. „No oratorio, but a bawdy opera” – kein Oratorium, sondern eine obszöne Oper –, schrieb einer von ihnen. Mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle, die mit der coloratura erotica, dem erotischen Gurren, keinerlei Probleme hat und mit großem darstellerischem Spaß bei der Sache ist, wird dieses Werk, das Händel auf dem Höhepunkt seines Könnens zeigt, zum doppelten Vergnügen. Von Robert Carsen mit Witz und unverfrorener Leichtigkeit bei den Chor-Auftritten in Szene gesetzt, gipfelt der Abend in einer umwerfend-komischen Slapstick-Szene zwischen Juno (Birgit Remmert) und ihrer „Sekretärin” Iris (Isabel Rey).

Das Oratorium lebt von einer ungemein bildhaften Musik, mit der Händel gleichsam das fehlende Bühnenbild mitkomponierte: Die „handelnde Musik verlangt eine leichte Regie, die Carsen in einer reduzierten Szenerie mit feiner Feder hinzeichnete, so dass sich das lehrreiche Ende – Semele verbrennt, aber Jupiter rettet den mit ihr gezeugten Sohn Bacchus, indem er ihn in seinem Schenkel austrägt – mit oratorienhafter Akkuratesse des Chors einstellen kann.

Salzburger Nachrichten | 25.01.2007

 

Besetzung

Semele: Cecilia Bartoli/Ann HelenMoen
Jupiter/Apollo: Charles Workman
Juno: Birgit Remmert
Cadmus/Somnus: Anton Scharinger
Athamas: Thomas Michael Allen
Ino: Liliana Nikiteanu
Iris: Isabel Rey

Musikalische Leitung: William Christie
Inszenierung: Robert Carsen
Ausstattung: Patrick Kinmonth
Lichtgestaltung: Robert Carsen/ Peter van Praet
Choreographie: Philippe Giraudeau
Regie/Choreographie: Elaine Tyler-Hall
Choreinstudierung: Jürg Hämmerli

 


© Felix Breisach Medienwerkstatt